Globalisierung und internationale Märkte bestimmen unsere Wirtschaft. Doch spätestens während der Corona-Pandemie hat sich gezeigt: Globale Lieferketten stoßen auch an ihre Grenzen. Wie reagieren Sie als Industriebetrieb? Der Fabrikplaner Dr. Tobias Heinen spricht in diesem Kontext von einer „Re-Regionalisierung der Wertschöpfung“. Was das bedeutet, und wo die Vorteile liegen, erfahren Sie in diesem Artikel.

Mit Dr. Tobias Heinen in die Fabrik der Zukunft

Experte für moderne Fabrikplanung: Dr. Tobias Heinen von der GREAN GmbH

Wie kann ich als Industrieunternehmen eine Fabrik so planen und gestalten, dass ich in einem Hochlohnland wie Deutschland effizient produziere? Mit dieser Frage beschäftigt sich Dr. Tobias Heinen nun seit Beginn seiner beruflichen und akademischen Karriere. Als Geschäftsführer der GREAN GmbH setzt er sich tagtäglich mit den Herausforderungen der Fabrikplanung auseinander. Dabei liegt ihm speziell der Wirtschaftsstandort Deutschland am Herzen: „Produktion ist hier in Deutschland ein Rückgrat des Wohlstands!“ Wir haben Tobias bei uns in Steinfeld zum LMZ Industry Talk getroffen:

Kommt jetzt die Kehrtwende der Globalisierung? Werden Produktion und Lieferketten wieder zurück nach Deutschland geholt?

Dr. Tobias Heinen: „Ich denke nicht, dass wir die Globalisierung aufhalten werden. Deutschland ist schon immer ein sehr exportorientiertes Land gewesen. Daher wäre ein totales Abwenden von der Globalisierung sicherlich kein Vorteil für unsere Industrie. Allerdings bin ich überzeugt, dass Teile wieder zurückkommen werden. Ich bin in meiner Arbeit auf zwei schöne Begrifflichkeiten zu dem Thema gestoßen:

  • Glokalisierung: Wir entfernen uns von der bis dato angestrebten ‚totalen Globalisierung‘, und stellen uns glokal auf. Ich verstehe das als eine Mischung aus globalem Distributionsnetz und lokalem Sourcing. Ich verkaufe also weltweit, aber beschaffe überwiegend regional.
  • Slowbalisierung: Wir reduzieren das Tempo der Globalisierung, um speziell in der Beschaffung nachhaltige und stabile, regionale Lieferketten und Netzwerke aufzubauen.“

Konkretes Praxisbeispiel:

Der regionale Supplier A hat seinen Sitz in Nürnberg, Deutschland. Der globale Supplier B ist in Peking, China ansässig. Aufgrund der geringen Standortkosten ist Supplier B in der Lage, das identische Bauteil 10 ct/Stk. günstiger anzubieten als Supplier A. Daher kaufen Sie als deutsches Industrieunternehmen bisher mit Erfolg bei Supplier B und können den Kostenvorteil für sich nutzen. Eben dieser Kostenvorteil entwickelt sich allerdings insgesamt zum Nachteil, wenn durch andere Einflussfaktoren – und die Corona-Pandemie ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür – die Supply Chain zusammenbricht. Exakt dieses Beispiel ist aktuell (Stand: Dezember 2021) die bittere Realität in den meisten Unternehmen.

Regionale Supplier sind meist teurer. Wie gehen Industriebetriebe mit den steigenden Kosten um?

Dr. Tobias Heinen: „Das ist definitiv eine berechtigte Frage. Ich beobachte diesbezüglich aktuell einen Mentalitätswechsel unter Führungskräften und Produktionsverantwortlichen. Früher lag der Fokus auf einer reinen Kostenoptimierung, sprich: Wo kann ich meine Komponenten am günstigsten einkaufen? Was in dieser Betrachtung allerdings zu kurz kommt: Wo eine Kostenperspektive ist, muss immer auch eine Leistungsperspektive sein. Es ist sehr gut möglich, dass eine regionale Supply Chain auch schlicht besser funktioniert. Ich bekomme also ein Plus an Leistung, einen Mehrwert für die sicherlich höheren Kosten.

Wo eine Kostenperspektive ist, muss immer auch eine Leistungsperspektive sein. Führungskräfte erkennen zunehmend die Vorteile, die eine regionale Supply Chain ihnen bietet, und sind bereit, mehr dafür zu zahlen.

Dr. Tobias Heinen

Konkrete Aspekte, die auf die Leistungsperspektive einzahlen, sind z.B.:

  • CO2-Reduktion und Nachhaltigkeit
  • Steigende Reaktionsfähigkeit und Schnelligkeit
  • Vertrauen, z.B. durch einheitlichen Rechtsraum

Wem dieses Plus an Leistung noch nicht genügt, der wird nicht drum herum kommen, an anderer Stelle in der Produktion einzusparen. Ganz einfach ausgedrückt: Wenn Kosten steigen, muss ich effizienter werden.“

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Im Gespräch mit Dr. Tobias Heinen zur „Fabrik der Zukunft“. Neben Supply Chains erfahren Sie mehr zu Effizienzsteigerung und New Work in der Produktion..

Wie gelingt Effizienzsteigerung in deutschen Fabriken? Auch über diese Frage haben wir mit Tobias im Rahmen des LMZ Industry Talk diskutiert. Im Video erhalten Sie Antworten auf diese Frage. Oder schauen Sie sich den Interview-Beitrag zum Thema „Effizienzsteigerung“ als perfekte Ergänzung zu diesem Beitrag an.

Welche weiteren Empfehlungen würdest du geben, um Lieferketten-Problemen entgegenzuwirken?

Dr. Tobias Heinen: „Ich spreche gerne von einer „Renaissance der Bestände“. Das klingt erst einmal ziemlich abwegig, denn jeder, der sich mit dem klassischen Lean Management auseinandersetzt, weiß: ‚Bestände sind böse. Bestände sollten vermieden werden. Bestände kosten nur Geld.‘

Dem möchte ich ein Argument entgegenbringen: Bestände sind auch eine Absicherung. Man kann es betrachten wie eine Versicherungspolice gegen Unsicherheiten im Markt. Denn für eine Versicherung zahlen wir auch Geld, in der Hoffnung, sie nie in Anspruch nehmen zu müssen. So verstehe ich auch Bestände.

Ganz konkret heißt das, ich kann z.B. die Bestände im Beschaffungswarenlager erhöhen, um mir dadurch eine gewisse Sicherheit zu kaufen und mich zu entkoppeln von diesen verrückt gewordenen Märkten. Logische Folge: Ich brauche mehr Platz im Lager.

Ich denke, dass es auf diese Weise auch in den aktuell schwierigen Zeiten noch gelingen kann, ein starkes Fundament an Supply Chains zu bauen.“

Weiterführende Links:

🔗 Das gesamte Gespräch mit Fabrikplaner Dr. Tobias Heinen im YouTube-Video.

🔗 Whitepaper von Dr. Tobias Heinen: Zehn Thesen zur Fabrik der Zukunft.

🔗 „Factory21“ – Der Podcast für Führungskräfte in der Produktion, mit Dr. Tobias Heinen.

🔗 Weitere Gespräche mit Experten der Branche: Im LMZ Industry Talk.

Dennis Lenkering (B.Sc.)
Maschinenbauingenieur und Geschäftsführer von LMZ Lenkering mit einer tiefen Leidenschaft für digitalisierte, intelligente und automatisierte Produktionsketten.
Torben Fangmann (B.A.)
B2B Marketing Stratege mit Inhaltsfokus auf industrielle Themen und branchenspezifische Entwicklungen rund um die Fabrik der Zukunft.