Die Situation ist komplex. Im Spannungsfeld zwischen Plastikmüll in den Ozeanen und biologisch abbaubaren Werkstoffen arbeiten kunststoffverarbeitende Unternehmen an der Zukunft der Branche. Wo steht die Industrie? Wir gehen der Frage auf den Grund.

Kunststoff und Nachhaltigkeit: Ein Widerspruch in sich?

Wir alle kennen die Bilder vom Plastikmüll in den Meeren – emotional aufgeladen, und doch das Abbild eines sehr realen Problems. Kunststoff und Nachhaltigkeit, geht das zusammen? Der Laie beantwortet diese Frage ohne Umschweife mit „Nein“. Experten aus Wissenschaft, Politik und Industrie zeigen jedoch ein weitaus optimistischeres Bild.

„Innovationen in Kunststoff schonen die Ressourcen“, heißt es beispielsweise in einer Studie der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM), welche sich mit der Ökobilanz von Kunststoffen im Vergleich zu Substituten beschäftigt. Begründet liegt dies z.B. im Gewichtsunterschied, welcher sich auf den Energiehaushalt in Transport und Logistik auswirkt. Nichtsdestotrotz ist der Weg in eine grüne Zukunft mit Herausforderungen gepflastert. Wie die Unternehmen damit umgehen – das weiß unser Gast-Experte Matthias Ruff.

Kunststoff-Experte: Matthias Ruff vom SKZ

Matthias Ruff, Leiter Vertrieb beim SKZ

Um einen Gesamtblick auf die Kunststoffbranche zu bekommen, haben wir uns mit Matthias Ruff vom „SKZ – Das Kunststoffzentrum“ zum Interview getroffen.

Er verantwortet nicht nur den Vertrieb des Branchen-Netzwerks, sondern ist gemeinsam mit seinem Kollegen auch die Stimme des SKZ-Podcasts „Kunststoff nachgefragt“. In seiner Tätigkeit erhält Matthias exklusive Einblicke in diverse Kunststoffbetriebe und kann somit einen beispiellosen Blick auf den Status Quo, sowie diverse Perspektiven und Zukunftsszenarien geben.

Matthias war unser Gast im Rahmen des LMZ Industry Talk. Dieser Blogbeitrag basiert auf dem Gespräch zwischen ihm und Torben Fangmann, Leiter Business Development bei LMZ. Das gesamte Gespräch können Sie sich HIER ansehen.

Der Weg in eine nachhaltige Zukunft

Matthias Ruff ist sich sicher: Kunststoff und Nachhaltigkeit funktioniert. Mehr noch: Die Zukunft von Kunststoff ist entscheidend abhängig von den Entwicklungen, die die Industrie in diesem Bereich macht. Mit Blick auf die Unternehmen betont er die starke Innovationskraft in der Kunststoffbranche, auf die es sich nun zu besinnen gelte.

„Die Begriffe ‚Kunststoff‘ und ‚Nachhaltigkeit‘ liegen meiner Meinung nach gar nicht so weit auseinander.“

Matthias Ruff

Doch wo sollten Unternehmen ansetzen? Matthias Ruff sieht verschiedene, relevante Handlungsfelder. Gestützt wird seine Ansicht u.a. von wissenschaftlicher Seite. „Es gibt keine einzige Lösung“, titelt eine Studie der Non-Profit-Organisation „The Pew Charitable Trusts“ aus dem Jahr 2020, und verweist auf folgende Maßnahmen:

  • Reduktion des Kunststoffverbrauchs
  • Alternativen für klassischen Kunststoff
  • Steigerung des Recyclings von Kunststoffen
  • Recyclingfreundliche Produkte entwerfen
  • Abfallsammlung und -entsorgung optimieren
  • Verringerung der Ausfuhr von Kunststoffabfällen

Wie aus der Aufzählung bereits hervorgeht: Ganzheitliche Nachhaltigkeit gelingt nur unter Berücksichtigung der gesamten Lieferkette. Wir möchten im Folgenden explizit auf die Themen eingehen, die in den produzierenden Unternehmen vorangetrieben werden können.

1. Biologische Abbaubarkeit von Kunststoffen

Nachhaltigkeit beginnt beim Werkstoff. Das Stichwort lautet an dieser Stelle „biologisch abbaubare Produkte“. Dem zugrunde liegt eine klare Normung (DIN 16208), die sich auf die Eigenschaft eines Stoffes bezieht, sich in Bestandteile zu zersetzen, die in der Natur vorkommen (insbesondere Kohlenstoffdioxid und Wasser). Eng damit verwandt ist der Begriff der „Kompostierung“. Dieser Prozess beinhaltet jedoch den Abbau unter optimierten Bedingungen.

Übersicht der verschiedenen Arten biologischer Kunststoffe; Quelle: Newsroom Kunststoffverpackungen

„Die Unternehmen schauen sich ihre Materialien und Produkte aktuell sehr genau an, um zu entscheiden, wo noch mehr Nachhaltigkeit möglich ist.“

Matthias Ruff

Gewonnen werden solche Materialien z.B. aus Pflanzen. Ein bekanntes Beispiel ist etwa die Nutzung der Faser von Sonnenblumenkernschalen. Biologisch abbaubarer Kunststoff trifft jedoch nicht nur auf Zustimmung, sondern erntet auch Kritik. Zurückzuführen ist diese vorallem auf die Zersetzungsdauer in der Praxis, die mit den Werkstoffen einhergeht. Umweltschutzorganisationen weisen an dieser Stelle zudem auf die Gefahr des Greenwashing hin.

Auch Matthias Ruff sieht im Greenwashing einzelner Unternehmen einen Imageschaden für die gesamte Branche. Jedoch betont er, dass diese Aktivitäten langfristig nicht von Erfolg gekrönt sein werden. Nicht zuletzt der von der Politik getragene „Green Deal“ wird für einheitliche ökologische Standards sorgen, nach denen Unternehmen der Kunststoffindustrie bewertet werden.

2. Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen

Wo biologische Abbaubarkeit nicht die Komplettlösung ist, kommen geschlossene Kreisläufe ins Spiel. Kreislaufwirtschaft meint die Wiederverwertung von Produkten und Werkstoffen (z.B. durch Recycling) zur Verlängerung des Lebenszyklus eben dieser, und zur konsequenten Reduktion von – in diesem Fall – Plastikmüll.

Symbolische Darstellung des biologischen Kreislaufs (grün) organischer Rohstoffe und des technischen Kreislaufs (blau) von Materialien wie Kunststoff; Quelle: Pöppelmann GmbH & Co. KG

Die Grafik zeigt (auf der rechten Seite) anschaulich die verschiedenen Möglichkeiten, einen geschlossenen Kreislauf auf technischer Seite zu realisieren. Grundlage ist das Circular-Economy-Modell der Ellen-McArthur-Foundation. Die Kunststoffindustrie – hier am Beispiel der Pöppelmann GmbH & Co. KG aus dem Oldenburger Münsterland gezeigt – bekennt sich zunehmend zur Umsetzung einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft. Auf der einen Seite handeln die Unternehmen autark und innovieren in dem Bereich, auf der anderen Seite agieren sie im Verbund. Matthias Ruff erwähnt in diesem Kontext die Circular Plastics Alliance.

„Die Circular Plastics Alliance und die Mitglieder dieses Verbunds haben sich dazu verpflichtet, den Rezyklat-Markt in der EU bis zum Jahr 2025 auf 10 Millionen Tonnen zu erhöhen. Das ist im Vergleich zu 2018 eine Verdopplung des Marktes.“

Matthias Ruff

Die Circular Plastics Alliance umfasst aktuell über 300 Organisationen aus der gesamten Kunststoff-Wertschöpfungskette, welche sich durch ihre Mitgliedschaft der Vision verpflichten und an der operativen Arbeit mitwirken.

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Torben Fangmann von LMZ im Gespräch mit Matthias Ruff vom SKZ – Das Kunststoffzentrum.

Im LMZ Industry Talk haben wir uns intensiv mit Matthias Ruff unterhalten. Dabei wird nicht nur die Energiekrise thematisiert, sondern auch die Notwendigkeit von nachhaltigen Kunststofflösungen und der richtige Umgang mit dem vorherrschenden Fachkräftemangel in der Branche. Reinschauen lohnt sich.

3. Produktentwicklung: „Design for Recycling“

Echte Kreislaufwirtschaft beginnt bereits bei der Produktentwicklung. Im Regelfall haben die Hersteller der Produkte nicht die Absicht, dass ihr Produkt am Ende als Plastikmüll im Meer landet. Nichtsdestotrotz stehen sie in der Verantwortung – mindestens in einer Teilverantwortung -, mit der Problematik umzugehen.

„Die Hersteller sorgen nicht aktiv für den Plastikmüll im Meer, sondern möchten das Material gern in einen geschlossenen Kreislauf zurückführen.“

Matthias Ruff

Hier setzt „Design for Recycling“ an. Bereits im Entwicklungsprozess wird das Produkt ganzheitlich gedacht. Es wird bereits berücksichtigt, was am Ende mit dem Produkt passiert – im Idealfall ein 100%-Recycling. Denn wenn von Beginn an die Recyclebarkeit eines Produktes berücksichtigt wird, vereinfacht dies die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft immens.

Unser Fazit

Der Klimawandel ist eine der größten, wenn nicht die größte Herausforderung unserer Zeit. Eine nachhaltige Kunststoffindustrie ist ein zentraler Baustein, um dem Klimawandel als Gesellschaft zu begegnen. Die Prognosen zeigen: Nachhaltigkeit ist nicht nur moralisch wünschenswert, sondern wird für kunststoffverarbeitende Betriebe zum Geschäftsmodell der Zukunft und zum Treiber einer gesamten Branche. Als Unternehmen, welches eng mit der Kunststoffbranche verbunden ist, wünschen wir allen Betrieben viel Erfolg auf dem Weg in eine grüne Zukunft.

An der Stelle bedanken wir uns herzlich bei unserem Gast Matthias Ruff für den Besuch und die Teilnahme am LMZ Industry Talk.

Weiterführende Links:

🔗 Das gesamte Gespräch mit Kunststoff-Experte Matthias Ruff im YouTube-Video.

🔗 Wie sieht sie aus, die Fabrik der Zukunft? Antworten gibt es im LMZ Industry Talk.

🔗 Energieeffizienz in der Kunststoffbranche: Umgang mit der Krise.

Dennis Lenkering (B.Sc.)
Maschinenbauingenieur und Geschäftsführer von LMZ Lenkering mit einer tiefen Leidenschaft für digitalisierte, intelligente und automatisierte Produktionsketten.
Torben Fangmann (B.A.)
B2B Marketing Stratege mit Inhaltsfokus auf industrielle Themen und branchenspezifische Entwicklungen rund um die Fabrik der Zukunft.